Neues vom Tage (Paul Hindemith)
Premiere 2. März 2013 – besuchte Vorstellung 28. März 2013
Theater Münster
MÜNSTER: NEUES VOM TAGE
Der neue Merker
Text: Sigi Brockmann
Foto: Martin Kaufhold
„Neues vom Tage“, Paul Hindemiths „lustige Oper“ auf ein Libretto von Marcellus Schiffer, einem Variété-Dichter, wurde unter der musikalischen Leitung von Otto Klemperer Ende 1929 in Berlin uraufgeführt, also nur wenige Monate vor dem „Weissen Rössl“ Am Theater Münster waren in noch kürzerem Abstand beide heitere Musiktheaterstücke zu erleben.. Endet das „Weisse Rössl“ musikalisch eingängig aber wenig anspruchsvoll mit der Bestätigung der herrschenden Ordnung, so karikiert „Neues vom Tage“ letztere auf einem musikalisch ungleich höheren Niveau.
Inhaltlich handelt es sich auch deshalb um eine „Zeitoper“ weil die Handlung nur nach früherem Scheidungsrecht Sinn macht.
Um nämlich Scheidungen zu ermöglichen, verdingte sich der schöne Herr Hermann firmierend unter Büro für Familienangelegenheiten GmbH als Scheidungsgrund. Entgegen der dafür notwendigen Gefühlsneutralität verliebte er sich schon mal in scheidungswillige Kundinnen, so auch in Laura, die ihn zusammen mit ihrem Mann Eduard engagiert hatte. Eduard fand ihn beim vereinbarten Treffpunkt im Museum wohl zu schön, schoss aber statt auf Hermann versehentlich auf eine dreitausend Jahre alte Venusstatue, die dabei zerbrach.
Beim nächsten Versuch für den Scheidungsgrund traf man Laura in einer Hotelbadewanne sitzend mit dem schönen Herrn Hermann als Besucher an, was vom Hotelpersonal als skandalös empfunden wurde. Da Eduard durch alles dies pleite war, konnte wegen der anfallenden Kosten immer noch nicht geschieden werden.
Für diesen Scheidungsablauf interessierten sich Presse, Film, Theater in Form von sechs Managern und bezahlten alle durch die bisher angesammelten Schulden und auch die zerstörte Venus (§ 828 BGB wird singend erwähnt – natürlich gesungen b-g-b). Dafür mußten Laura und Eduard auch dann noch weiter zerstrittenes Ehepaar spielen , als sie sich versöhnen wollten, wie es schon ihre vorher gleichfalls geschiedenen Freunde Frau und Herr M. vorgemacht hatten. Die Presse, vertreten durch den Schlusschor, belehrte sie aber, das sei unmöglich, sie seien keine Menschen mehr, sondern abgestempelt als für immer scheidungswillig, um als das „Neueste vom Tage“ für die Presse und deren sensationslüsterne Leser zu dienen.
Deren Macht wurde in der Inszenierung von Ansgar Weigner schon dargestellt, als während der musikalischen Einleitung – und auch zum Schluß – Schlagzeilen des Jahres 1929 auf den Bühnenhintergrund projeziert wurden, so etwa, daß in demselben Jahr Lehárs „Land des Lächelns“ uraufgeführt wurde oder das Publikum zum Lachen reizend „einfallsloser Komponist überfällt Notenbank“
Drehbühne und Projektionen des Namens des Spielorts auf den Bühnenhintergrund machten schnelle Szenenwechsel (z.B. Wohnzimmer, Standesamt, Büro, Museum) möglich (Bühne Christian Floeren)
In diesem Rahmen spielten alle Mitwirke einfallsreich und witzig, obwohl Hindemiths neoklassizistische häufig polyphone Musik mit Anklängen an Jazz und Kurt Weill von allen rhythmische Sicherheit, teils gewagte Koloraturen und schnellen Sprechgesang erforderte.
Diese Art von Musik wird mehrfach verlassen zu Parodiezwecken, so vor allem im Duett-Kitsch im Museum, eine der gelungensten Opernparodien. Hier konnten Tilman Unger mit Heldentenorqualität als schöner Herr Hermann und Henrike Jacob mit etwas kleinerer Stimme grosses Liebesduett persiflieren, wobei Wagner, Richard Strauss und Puccini im Orchester anklangen. (Hornbegleitung, Chromatik, Quartsextakkorde) Diese „Liebesschwüre“ unterbrachen dann beide gekonnt mit ganz veränderter Stimme etwa durch „Was soll dies Geschwätz“ oder „Es ist im Preise inbegriffen“
Als Lulu bereits erfahren mit Singen in der Badewanne hatte danach Henrike Jacob ihren grossen Auftritt als Laura im Bade mit dem Arioso über die Vorzüge der Warmwasserversorgung, deren langgezogene Melismen sie höhensicher beherrschte. Ganz großartig im Spiel und sicher in den Koloraturen gestaltete Gregor Dalal den scheidungswilligen und dann wütenden Ehemann Eduard, vor allem baritonal eindrucksvoll in der Gefängniszelle und dann in seiner als Pressekonferenz dargestellten grossen Arie „Ich bin entlassen“ Fritz Steinbacher, der ja alles kann, als Herr M und Lisa Wedekind als seine Frau sangen und spielten überzeugend das erst geschiedene und dann wieder verheiratete Paar. Eine witzige Charakterstudie stellten Lukas Schmid als anmassender Standesbeamter und Plamen Hidjov als trotteliger Fremdenführer im Museum dar, der seine dreitausend Jahre alte Venus anpries, auch dann noch, als sie in Scherben am Boden lag, dies aber nicht merkte.
Vollständiger Revuecharakter in Musik und Szene kam auf, als das ganze Theater zum „Alkazar“ wurde, in dem Laura und Eduard ganz übertrieben kostümiert (Kostüme Anke Drewes) ihre eigenen Ehekrach nachspielten flankiert von Revuegirls (Choreografische Mitarbeit Hans-Henning Paar)
Der eigentliche Star des Abends war aber das Orchester unter der Leitung von Hendrik Vestmann, die das polyphone Geflecht der Stimmen, die starken rhythmischen Akzente und die ganz unterschiedlich persiflierenden Musikstile unterhaltsam miteinander verbanden. Chor und Extrachor in der Einstudierung von Inna Batyuk zeigten in den grossen Ensembles im Hotel und zum Schluß stimmliche Akkuratesse.. Besonders im Zwischenspiel nach dem Hotelensemble und der Begleitung des Chors der Tippfräulein erinnerten die manchmal allein spielenden Klaviere (Elda Laro, Annette Strootmann, Bastian Heymel) an Hindemiths „Klaviermusiken“ für Klavier solo aus den 20-er Jahren. Hendrik Vestmann, dessen letzte Operneinstudierung vor seinem Wechsel nach Bonn dies war, führte auch exakt durch das Siebenmänner-Finale, in dem Eduard und sechs Manager jeder für sich stimmlich hörbar wurden.
Das Publikum im gut besuchten Haus war nach diesem lustigen mit 75 Minuten gegenüber dem Original gekürzten Abend hörbar amüsiert und klatschte lange Beifall.
Wenn die Tippfräulein in ihrem Chor betreffend ihren Chef singen „Wie schön ist unser Herr Hermann heute morgen“ weist das parodierend auch hin auf „Salome“ als nächste Oper im Theater Münster – Premiere ist am 18. Mai 2013!