Neues vom Tage (Paul Hindemith)
Premiere 2. März 2013
Städtische Bühnen Münster
Eine Opernsatire auf Klatsch und Sensationshunger
Online Musik Magazin
Text: Ursula Decker-Bönniger
Fotos: Martin Kaufhold
Wie es gelingen kann, ein neues Publikum für die Oper zu gewinnen, den Anforderungen von modernem Zeitgeist, Unterhaltung und kunstvoll gestalteter Musik gerecht zu werden, zeigen – z.B. mit Jonny spielt auf (1927) von Ernst Krenek – die Opern-Reformansätze der 1920er Jahre. Auch Hindemiths von Otto Klemperer in der Berliner Kroll-Oper 1929 uraufgeführte, einzige komische Oper Neues vom Tage gehört zu dieser Art Zeitoper, deren historischer Zeitgeist in der münsterschen Neuinszenierung mit satirischem Biss, kühler Sachlichkeit und schwungvoller Musik vor Augen geführt wird.
Laura und Eduard sind nicht die Einzigen, die sich scheiden lassen wollen, aber ihnen fehlt – gemäß damaliger Rechtssprechung – ein juristisch anerkannter Grund wie Gewalt oder Seitensprung. Die Firma des unwiderstehlichen, schönen Herrn Hermann hat diese Marktlücke erkannt. Er liebt die Frauen, die Frauen lieben ihn. Warum nicht geschäftstüchtig werden und sich als Scheidungsgrund vermieten? Ein Museumsbesuch wird als Treffpunkt vereinbart, doch der verabredungsgemäß erscheinende Ehemann wird beim Anblick der fingierten Liebesszene eifersüchtig und greift zum Revolver, trifft aber anstelle des schönen Herrn Hermann ein wertvolles Museumsobjekt und wird verhaftet.
Zeugin des erneuten Rendezvous‘ ist nun Frau M., die selbst in den schönen Herrn Hermann verliebt ist und für sich beansprucht, das von Laura benutzte Badezimmer reserviert zu haben. Skandal, Skandal! Die Presse überstürzt sich mit neuesten Meldungen und Schlagzeilen. Varieté und Wochenschau beginnen sich für die Geschichte zu interessieren, sodass Laura und der entlassene Eduard ihre Schulden begleichen können. Beide – der Medien überdrüssig – wollen es schließlich als schlichte Privatpersonen noch einmal miteinander versuchen, doch als V.i.P.s sind sie zur Handelsware wider Willen geworden.
Regisseur Ansgar Weigners stimmige Inszenierung ist als Revuetheater im Jahre 1929 angesiedelt. Noch während den überdrehten, motorischen Klängen des Ouvertürenbeginns flattern computeranimierte Schlagzeilen auf die Bühne: Wussten Sie bspw., dass Thomas Mann im Jahre 1929 den Literaturnobelpreis für die Buddenbrooks erhält, dass die Arbeitslosenzahlen auf 3,2 Millionen ansteigen oder etwa dass Stalin seinen 50. Geburtstag feiert?
Ähnlich wie sich feuilletonistische Meldungen mit witzigen Albernheiten wie „einfallsloser Komponist überfällt Notenbank“ mischen, wie Hindemiths polyphones, jazzig motorisches Musiktheater durchsetzt ist von satirischen Seitenblicken auf die italienische Gefühlsoper, changieren die Szenen zwischen Ernst, Buffo und Slapstick oder werden zu unterhaltsamen Varieté-Bildern ausgebaut. Weigners Inszenierung zeigt hier eine wunderbare Leichtigkeit. Aber nicht nur die fließenden Wechsel, auch die detaillierte, immer eine differenzierende Perspektive berücksichtigende Personenregie überzeugen. Wenn der Frauenversteher Herr Hermann bspw. seine regelmäßigen, die Bürodamen verwöhnenden Pralinégaben verteilt, müssen nicht alle in blinden Gehorsam verfallen oder während er sich in der Museumsszene – in schönem Gesang knieend dem Publikum zugewandt – gefällt , klappt sie – ungeduldig hinter ihm auf dem Boden wartend – die Beine auf und zu.
Christian Floeren hat dazu einen mit wenigen Requisiten auskommenden, sachlich kühlen, zunehmend farblich untermalten, die Schauplätze übertitelnden Bilderbogen kreiert, der auf einer sich rechts und/oder links drehenden Bühne angeordnet ist. Ähnlich einer sich steigernden Medienhysterie ist das Bühnengeschehen in der Hotelszene in zwei verschiedene Ebenen unterteilt. Dieser rote Faden wird auch in der Szene des Varietétheaters beibehalten, wo sich die Handlung anspielungsreich auf Parkett und Zuschauerbereich ausweitet. Anke Drewes ergänzt diese rundum ansprechende, abwechslungsreiche Inszenierung mit Kostümen, die fantasievoll dem Zeitgeschmack der 1920 er Jahre Rechnung tragen und je nach Rollenzuweisung Ernst und Varieté mischen.
Ob dramatische Polyphonie, jazzig-synkopische Motorik oder streicherlastige Gefühlsromantik – Chor, Orchester und Gesangssolisten lassen die von Hindemith eingebauten Genre spielfreudig aufblühen und präsentieren ein engagiertes, abwechslungsreiches, satirisch zugespitztes, von Ernst und Leichtigkeit gleichermaßen gewobenes Musiktheater. Allen voran Henrike Jakob, die grandios die ihrem Mann Paroli bietende, kecke, selbstbewusste Laura verkörpert und wie ein Singvögelchen Koloraturen tirillierend die Warmwasserversorgung in der schäumenden Badewanne besingt. Der gleichermaßen wunderbar schauspielen- wie singende Bariton Gregor Dalal ist ihr immer verärgerter, leicht cholerischer Ehemann Eduard. Passend dazu das mit Lisa Wedekind und Fritz Steinbacher ebenso wohl bestückte Ehepaar M. Tenor Tilmann Unger charakterisiert den schönen Herrn Hermann humorvoll als kraftvoll schmetternden Tenor.
FAZIT
Ein musikalisch und darstellerisch überzeugender Einblick in Hindemiths einzige komische Oper und Gattung Zeitoper.